Der Vinyl Globetrotter: Diggin‘ in the Crates mit Pepe von Born to Shine

Der Vinyl Globetrotter: Diggin‘ in the Crates mit Pepe von Born to Shine

Januar 20, 2021 0 Von Alexander Antonakis

Er wurde von Polizisten ausgeraubt, von Plattenladenbesitzern väterlich behütet und war zu Hause bei „Disco Illusion“-Macher Stephan Encinas: Pepe Hausius, DJ und Label-Betreiber mit Wohnsitz in Offenbach, hat auf seinen Fernreisen so einiges erlebt. Das Entdecken von obskuren und landesspezifischen Schallplatten gehört dabei zum festen Bestandteil seiner musikalischen Sightseeingtouren. Im Interview erzählt der Sammler ein paar Geschichten davon.

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Pepe, du bist schon sehr viel rumgekommen. Welche Länder hast du inzwischen bereist?

Wie viele Länder genau, weiß ich gar nicht. Schwerpunktmäßig bin ich in Zentralamerika, Ostafrika und der Karibik unterwegs gewesen und habe dort die meisten Länder bereist. Da ich aber immer extrem langsam reise, könnten es weitaus mehr sein. Wenn es mir irgendwo gefällt, bleibe ich meist solange, bis ich kein Visum mehr habe oder rausgeschmissen werde.

Amoeba Music in San Francisco. Foto: Privat.

Platten „diggen“ gehört für dich bei deinen Reisen dazu. Suchst du deine Ziele entsprechend deiner Sammelleidenschaft aus?

In Zentralamerika und der Karibik hat mein Musikgeschmack schon eine große Rolle gespielt. Wenn Stile so stark kulturell mit Ländern verbunden sind, löst das Hören bei mir automatisch meist völlig unrealistische Bilder über das jeweilige Land aus.

Nach Ostafrika bin ich eher aus Neugier über seine Kultur und um meinen privilegierten europäischen Kompass mal einem Reality Check zu unterziehen. Da kam Musik erst später. Aber egal wie man es macht, irgendwas ist fast immer an Platten oder Tapes zu finden. Selbst die kleinsten Inseln in der Karibik wie Dominica oder Barbados haben ihren eigenen Stil.


Oft geht es mir so, dass ich die Musik der Länder erst verstanden habe, nachdem ich dort gewesen war. Beispielsweise konnte ich mit Cumbia nichts anfangen, bevor ich in Kolumbien war oder mit Zamrock, bevor ich Sambia erleben durfte. Ich will mir aber nicht den Urlaub vermiesen lassen, wenn die Beute eher schlechter ausfällt, und nicht meine ganze Zeit damit verbringen. Die Welt hat mehr als Schallplatten zu bieten. Ohne die Erlebnisse und Geschichten mit anderen Leuten wäre das doch alles sinnlos. Es hält sich immer so die Waage zwischen Urlaub und „diggin“.

Was ist dein bislang spektakulärster Fund?

Hm, keine Ahnung. Woran macht man das fest? Am Preis? Mir fällt da aber eine Story ein. Ich hatte eine Sealed Copy von Lata Ramasars „The Greatest Name That Lives“ für fast nichts gefunden. Dumm wie ich bin, habe ich es nicht übers Herz gebracht sie zu öffnen und habe sie mir dann viel zu billig abschwatzen lassen, da ich der Meinung bin, wenn ich es nicht spiele kann, kann es ein anderer besser gebrauchen, um es aufzulegen. Letztlich will ich kein Museum sein und brauche keine Zehntausende Schallplatten für mein Ego. Spätestens bei jedem Umzug bemerkt man, wie scheiße das sein kann.

Pepe am diggen in Costa Rica. Foto: privat.

Spektakulär vom emotionalen Wert her ist eigentlich alles, was ich noch nicht kenne oder lange gesucht habe und günstig finde oder zumindest für einen akzeptablen Preis. Das ist für mich eigentlich eher die Herausforderung, da mit dem richtigen Budget und Plattformen wie discogs, eBay etc. heute fast alles sofort geordert werden kann, wofür man früher mehrere Jahrzehnte suchen musste und dazu auch noch Glück brauchte. Zudem wird heute sehr viel wiederveröffentlicht. Es gibt haufenweise klasse Dinger, aber irgendwie ist es manchmal zu viel, wenn jede zweite Zehn-Euro-Platte nochmal rauskommt. Um deine Frage aber abschließend zu beantworten: Es geht doch nichts über das Gefühl, echte Perlen selbst zu entdecken.

Stapelweise Musik in Kingston, Jamaika. Foto: privat.

Bist du auch im Corona-Jahr 2020 unterwegs gewesen?

Schon, ja. Aber nichts Größeres, da ich erst im Dezember 2019 wiedergekommen bin von einem längeren Trip und erst mal wieder Cash machen musste. Ich war im März in Athen. Geplant war eigentlich eine Woche. Als wir gelandet sind, haben die ersten Airlines den Betrieb eingestellt und es war unklar, ob wir nach Deutschland zurückkommen konnten. Nach zwei Tagen habe ich dann unsere Flüge umgebucht und bin nach Hause. Absoluter Schuss in den Ofen.

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Was machst du eigentlich beruflich, wenn du dich gerade nicht mit Musik beschäftigst?

Ich bin Pfleger. Und wer mich kennt, der weiß, das passt wie die Faust aufs Auge. Auch wenn der Job manchmal seine nervigen Seiten hat, gibt er mir doch die Freiheit für diesen Lebensstil. Man braucht als Pfleger nicht mal mehr eine Bewerbung schreiben, um einen Job zu bekommen. Und so kann ich immer ein Jahr arbeiten, etwas sparen, kündigen und ein paar Monate reisen, diggen und mich um andere Sachen kümmern. Außerdem hat der Job mich außerordentlich privilegiert durch die Corona-Krise gebracht.


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Als du zu Gast in der Radioshow for a better tomorrow auf Radio X gewesen bist, hast du einige Geschichten von deinen Reisen erzählt. Welches Erlebnis liegt dir ganz besonders am Herzen?

Meine erste Trinidad-Reise wird wohl immer zuerst von mir genannt. Das hat viel an meiner Art und Weise zu Sammeln verändert. Eigentlich ist das Sammeln teilweise Mittel zum Zweck. Man lernt auf diese Weise die Stadt, das Land und die Leute nochmal ganz anders kennen. Die dauerhaften Bekanntschaften und Freundschaften, die Erinnerungen und die Einblicke, die man erhält, sind das eigentliche Gold. Auch wenn man als privilegierter Europäer oft nur als laufende Dollarnote wahrgenommen wird.

Großartig war mit Sicherheit der Besuch bei Stephen Encinas zu Hause, als er dann ‚Music in Me‘ und ‚Rock-a-Bye‘ am Klavier gespielt hat.

Nichtdestotrotz hatte ich wirklich Glück. Ob ich nun in die ranzigsten Clubs von Lusaka mitgenommen wurde, um als einziger Weißer zwischen twerkenden Ladies wie ein Besenstiel zu wirken oder ob ich in Maputo von korrupten Bullen ausgeraubt und dann irgendwo aus dem Auto geworfen wurde. Darauf sollte man vorbereitet sein. Und solange ich gesund bleibe, ist doch alles gut.


Großartig war mit Sicherheit der Besuch bei Stephen Encinas zu Hause, als er dann „Music in Me“ und „Rock-a-Bye“ am Klavier gespielt hat. Ein anderes positives Erlebnis war in einem Plattenladen in El Salvador, der in einer Zone lag, die eigentlich tabu war für Fremde (besonders für Touristen). Ich brauchte vier Versuche um einen Uber-Fahrer zu finden, der mich dahin bringt. Als ich dann dort ankam, ist mir gleich klargeworden, dass die Leute keine Stories erzählen. Sobald ich außerhalb des Ladens war, um eine zu rauchen, hatten mich die Gang-Mitglieder im Visier. Allerdings war der Besitzer das absolute Gegenteil. Der hat auf mich aufgepasst, obwohl er wohl so um die 80 Jahre war. Da mein Spanisch schlecht ist, konnten wir uns kaum unterhalten.

Zuhause bei Stephan Encinas in Trinidad. Foto: privat.

Letztlich kam ich eine Woche lang jeden Tag von früh bis spät, um seinen Laden zu durchsuchen. Und jeden Tag, erwartete er mich mit einem Lächeln, bestellte für mich Mittagessen, besorgte mir einen Fahrer zurück und kümmerte sich um mich wie um seinen Sohn. Ein großartiger Mensch, den ich nie vergessen werde und mir als Deutschen zeigt, wie unfassbar groß die Unterschiede in Sachen Gastfreundlichkeit sind. Das fällt mir fast überall im außereuropäischen Ausland auf. Vielleicht aber nur, weil Deutschland da wohl am schlechtesten abschneidet.

Hast du schon Urlaubspläne für die Zukunft geschmiedet?

Das Thema ist immer allgegenwärtig. Da sind immer so eine Handvoll Länder im Hinterkopf.  Aber aus bekannten Gründen zurzeit schlecht realisierbar. Aber ja, ich sitze auf heißen Kohlen. Wo es als Nächstes genau hingeht, ist noch nicht absehbar. Bin da sehr spontan und flexibel. Kreditkarte, Reisepass, Handy, mein portable Turntable und saubere Schlüpfer, schon kann es losgehen.

Du bist in Dresden aufgewachsen. Wie bist du zur Musik gekommen und welches Genre hat bei dir die Passion für Sound ausgelöst?

Aufgewachsen bin ich eigentlich in Görlitz, aber mit 18 nach Dresden gezogen. In Görlitz gab es ein paar großartige Jungs, die alle ein paar Jahre älter waren und mir immer wie die coolsten Dudes vorkamen. Die haben damals viel Golden Era Hip-Hop gespielt. In Dresden ist mir dann erst klargeworden, dass es noch viel mehr gute Musik gibt.

Da gab es einen Recordstore namens „Sure Shot“, und der war Treffpunkt einiger talentierter Jungs und Macher wie Cuthead oder Gordon von Project Mooncircle, weit bevor der Erfolg kam. Die Atmosphäre dort habe ich nach der Schließung des Ladens nirgendwo mehr gefunden. Dort hat mir Micha, der Besitzer, die „Endtroducing…..“ von DJ Shadow gezeigt und irgendwie war danach nichts mehr wie vorher.

Diggin‘ in Suriname. Foto: privat.

Momentan lebst du in Offenbach. Ich habe in Erinnerung, dass du auch in Mannheim gewohnt hattest, oder? Wann hast du den Osten eigentlich verlassen?

Den Osten habe ich um 2009 herum verlassen. Ich brauchte mal einen Tapetenwechsel. Allerdings hat sich daran 20 Jahre später immer noch nichts geändert. Ich halte es nirgendwo länger als sieben, acht Jahre aus. In Mannheim wollte ich eigentlich nur drei Jahre bleiben. Aber kurz davor habe ich meine Freundin kennengelernt und nochmal fünf Jahre drangehängt. Auch wenn ich Mannheim am Anfang gehasst habe, bin ich heute immer wieder gerne da. Aber Dresden war und ist immer meine große Liebe.

Vorm legendären Studio One, Kingston, Jamaika. Foto: privat.

Mit deinem Label „Born to Shine“ veröffentlichst du seit 2016 modernen Electronic Funk und Soul. Die letzte Platte kam Ende 2019, danach folgte leider nichts mehr. Liegt das Projekt gerade auf Eis?

Zurzeit ja. Es ist immer schwer, alles unter einen Hut zu bekommen. Vorbereitung der Pressung, dann Selbstvertrieb und Marketing, Finanzen. Dazu noch Job und immer mal ein paar Monate weg. Alleine muss man zwar keine Kompromisse eingehen, allerdings bin ich bei vielen Dingen eher auf Amateur-Level oder hasse es, Promo machen. Mit mehreren Leuten kann man sowas auf ganz andere Beine stellen.

Es wird mit Sicherheit weitergehen. Aber wie, wann und wo werden die nächsten Monate zeigen. Ich muss nur einfach mal die vielen Gedanken und Ideen in meinem Kopf priorisieren. Ich mach mir aber keinen Stress. Ich bin schon sehr zufrieden, wie es mit dem Label lief und habe dadurch sehr viel über Musik und Menschen gelernt.

Im Dezember hast du die monatliche Radioshow World on Wax auf der indonesischen Plattform norrm.com gestartet. Wie kam es dazu?

Weiß ich selbst nicht genau. Ich denke, das hängt mit unserem letzten „Born To Shine“ Release (Midnight Runners – „Kuda Arabs 7“) zusammen. Munir aka Midnight Runners kommt aus der gleichen Stadt und hängt dort mit den Leuten zusammen. Dann haben sie angefragt, ob ich Bock habe. Die Jungs sind schon eine coole Truppe und scheinen Bandung ordentlich zu rocken. Müsste da mal bei Gelegenheit hin und Hallo sagen.

Du hast einen exklusiven Mix für das Interview aufgenommen. Erzähl doch bitte zum Abschluss etwas zur Auswahl der Stücke.

Größtenteils Calypso und Latin Funk, aber auch Cumbia, Kaseko. Alles, was beim Durchstöbern irgendwie zugesagt hat. Eine Mischung aus Classics und unknown Stuff für den ein oder anderen. Hauptsächlich 45s, weil das über die letzten Jahre mein absolutes Lieblingsformat geworden ist. Allerdings gab es keinen Plan für diesen Mix. Das Raussuchen und Hören ist eigentlich immer wieder der genialste Teil an der Sache für mich. Die eine Platte erinnert mich an die Stadt, die andere an den Store. Wird mir irgendwie nie langweilig dabei.

Mehr Infos über Born to Shine gibt es auf Bandcamp und Soundcloud.