Mixed by J.R.K.: 80er-Jahre Tapes und die Ursuppe der Disco Boys

Mixed by J.R.K.: 80er-Jahre Tapes und die Ursuppe der Disco Boys

Juli 18, 2023 1 Von Alexander Antonakis

In den 1980er Jahren waren im Rhein-Main-Gebiet Mixtapes mit (elektronischer) Clubmusik eine beliebte Handelsware. Darunter Live-Aufnahmen aus Clubs wie dem Dorian Gray, Vogue oder Funkadelic. Es machten darüber hinaus diverse limitierte Studio-Tape-Serien wie z.B. Sound System, Slimline oder Touchdown in der Region die Runde. Die Produzenten der Tapes hielten sich dabei stets bedeckt. Lediglich ihre Initialien waren auf den begehrten Kassetten vermerkt, von denen ich um 1986/87 als Teenager auch einige Exemplare egrattern konnte. Die Mixe prägten mich als heranwachsenden und wissbegierigen DJ ungemein. Und ich fragte mich oft: Wer ist denn dieser J.R.K?

Knapp 35 Jahre später bekam ich die Antwort auf meine Frage. Anfang 2021 nahm alles seinen Lauf. Damals war ich temporär beratend in das Buchprojekt von Gerd Schüler über sein Leben und das Dorian Gray involviert. Etwa ein Jahr zuvor hatte mich der Produzent Doug Laurent angesprochen, ob ich dabei mitmachen möchte. Wir trafen uns hin und wieder mit Gerd Schüler, um ihm bei der Planung und inhaltlichen Umsetzung zu unterstützen. Etwas später kam noch ein weiterer Musik-Enthusiast als Berater an Bord: Raphael Krickow, ein Teil des DJ-Duos The Disco Boys und Initiator von Welcome to the Robots, eine Plattform für frühe elektronische Clubmusik und gleichnamige Partyreihe. Wir lernten uns schließlich persönlich bei einem Treffen in Dougs Haus kennen. Es stellte sich heraus, dass sich hier drei Seelenverwandte gefunden hatten. Wir redeten stundenlang. Über vergangene Gray-Zeiten, die regionale Musikszene, Techno, das Studio 54 und was die Welt der Clubkultur sonst noch so alles zu bieten hat.

Es folgten weitere Zusammenkünfte und ein regelmäßiger E-Mail-Austausch. Damals hatte ich gerade meinen Music-Mind-Blog aufgesattelt und parallel die Mixcloud-Seite Forgotten Tapes ins Leben gerufen, auf der mittlerweile 70 Live-Mitschnitte aus verschiedenen Clubs und Diskotheken sowie einige Tape-Serien versammelt sind. Eines Tages erhielt ich von Raphael schließlich folgende E-Mail: „Lustig, hab’ eben mal länger bei der MixCloud Seite https://www.mixcloud.com/ForgottenTapes/ reingehört und festgestellt, dass da jede Menge Mixe von mir aus den 80ern drin sind: „Slimline“ (war eine lange Serie). „

Okay, nun machte plötzlich alles Sinn: J.R.K. = Jan Raphael Krickow. Schnell war uns klar, dass das nach einer Story schreit. Here we go, read, look and listen …

Raphael, gibt es ein spezielles Erlebnis, das dich zur Clubmusik gebracht hat und seit wann legst du auf?

1983 nahm mich meine damalige Freundin, die etwas älter war als ich und gerade ihren Führerschein gemacht hatte, mit ins Dorian Gray. Das hat alles verändert. Das war die gelebte Vision der Musik der Zukunft. Ich hatte zwar schon vorher elektronische Musik gehört, aber hier vermischte sich das mit den Anfängen der DJ-Kultur und dem Geist der Nächte, in denen alles anders war. Im Club habe ich erst aufgelegt, nachdem ich meine eigene Mixtape-Serie startete, 1986 im Vogue in Frankfurt. Donnerstagabends – so etwas gab es damals noch.

Wie kam es zur Mixtape-Idee?

Diese Frage ist die Frage nach dem Ursprung zur Leidenschaft, sich über (elektronische) Musik mitzuteilen, was bei mir bis heute unverändert ist. Das Problem war vor allem eines: Eine Import-Maxi konnte bis zu 29,90 DM kosten und auf ein C60 Tape passten ca. zwölf Titel. Das war alleine nicht zu finanzieren. Also brauchte man ein frühes Shareholder-Value-Modell, indem man wohlhabendere Freunde ins Boot holte, mit denen man sich dann die Einnahmen aus den späteren Schulhofverkäufen der Tapes teilte.


Mir sind die Reihen Slimline, Touchdown und Pleasure Artwork bekannt. Welche gab es noch?

Angefangen hat es 1983 mit der Serie “Slimline”, gefolgt von “Manipulator” (so hieß damals auch ein Düsseldorfer Lifestyle-Magazin im A3-Format). Warum es so viele verschiedene Serien gab, weiß ich heute ehrlich gesagt nicht mehr. Ein Grund ist sicher, dass die Inhalte etwas unterschiedlich waren und ich verschiedene Partner hatte. Gegen Ende der 80er brachte ich dann noch die Serie „The Sound Of Now“ (Zitat aus „Doctorin‘ The House“ von Coldcut 1988) mit den Vorläufern des britischen Acid House heraus.

Da ich damals schon Zugang zu einem zweifarbigen Kopierer (schwarz und rot) hatte und Hobbygrafiker war, habe ich auch die Cover selbst gestaltet. Diese unterschieden sich dann auch von den damals eher improvisierten Punk- und DIY-Covern.


In den 80er-Jahren war an Musik, die in Clubs lief, oftmals nur schwer ranzukommen. Wie hast du dich seinerzeit informiert und wo hast du deine Platten gekauft?

Um in den betreffenden Genres auf dem aktuellen Stand zu bleiben, gab’s nur die einschlägigen Plattenläden und DJ Record Stores. Das erste, was man überhaupt hatte, waren begehrte Tape-Mitschnitte der damaligen DJ-Pioniere. Die hab‘ ich z.B. 1983 bei Michael Münzing selbst am DJ-Pult im Dorian Gray für 50 DM gekauft. Mit diesem Basiswissen ging’s dann irgendwann zu City Music (Frankfurt und Darmstadt), Marion’s Plattenboutique (Frankfurt), Eisele (Offenbach) oder Knie (Wiesbaden), um selbst nach Maxi-Singles zu suchen.

Wie seid ihr bei der Musikauswahl vorgegangen und welche Tracks haben es auf die Tapes geschafft?

Grundsätzlich war natürlich die Intention, zumindest bei den ersten Mixserien „Slimline“ und „Manipulator“, das auf das Tape zu bringen, was brandneu war, was uns als die Musik der Zukunft erschien und was in Clubs wie dem Vogue, dem Dorian Gray, dem Aoxomoxoa oder dem Aladdins zur Peaktime lief. Schon damals achtete man auf wirklich gute Remixe und Dub-Versionen. Auf den ersten Serien waren unter anderem folgende Titel zu finden:

  • „Unit“ Logic System
  • „Japanese Wargame“ Koto
  • „8:15 To Nowhere“ Vicious Pink
  • „Replay“ X-Ray Connection
  • „Welcome To Tomorrow“ Ellison Chase
  • „Droid“ Mito
  • „Spacer Woman“ Charlie
  • „Take A Bite“ Eve Electro
  • „We Are The Young“ Dan Hartman
  • „Flucht“ Zwischenfall

In dieser frühen Phase wurde noch nicht nach Genres unterschieden. Das kam erst ab 1985/1986, als ganze Sets mehr oder weniger nur mit Chicago House oder EBM gespielt wurden. Die Mixtape-Reihen „Touchdown“ (gleichnamiger Titel von The Endzone 1986) und „Chicago Syndrome“ widmeten sich dementsprechend auch der frühen House-Music aus den USA:

  • „Jack Your Body“ Steve „Silk“ Hurley
  • „Love Can’t Turn Around“ Farley „Jackmaster“ Funk & Jesse Saunders
  • „House Nation“ The House Master Boyz & The Rude Boy of House
  • „The Walk“ M.T.R
  • „If This Ain’t Love“ Jay Novelle
  • „Waiting On My Angel“ Jamie Principle
  • „Mind Games“ Quest
  • „No Way Back“ Adonis
  • „People Of All Nations“ Shawn Christopher
  • „I Fear the Night“ Tyree

Auf „Hysteric News“ war dann schon Electronic Body Music aus Belgien und der typische Frankfurt Sound zu hören:

  • „Rigor Mortis“ A Split Second
  • „Funkahdafi“ Front 242
  • „Kein Mensch“ Kein Mensch
  • „Let Your Body Learn“ Nitzer Ebb
  • „Futuristic Dance“ Moskwa TV
  • „Too Fast To Live“ 16 Bit
  • „Communicate“ Micro Chip League
  • „Be My Dream“ OFF
  • „Assimilate“ Skinny Puppy
  • „The Fashion Party“ The Neon Judgement

Wer hat die Tapes gekauft, wie viel habt ihr dafür verlangt und wo konnte man eure Mixe hören?

Im Laufe der Zeit habe ich mir einen ganzen Turm von Tapedecks angeschafft, um mindestens vier Kopien eines Masters gleichzeitig herstellen zu können. Das ging nur in Echtzeit und mit Qualitätsverlust. Ein Durchlauf dauerte also 60 Minuten, und man musste fast gleichzeitig auf Play am Wiedergabe-Tapedeck und auf Record an allen anderen Tapedecks drücken, die per Cinch-Kabel in Reihe geschaltet waren. Interessanterweise klingen die Masterbänder auch heute noch erstaunlich gut.


So ging ich mit mehreren 10er-Kassetten-Boxen in die Schule. Die Tapes waren damals auch weit über das Rhein-Main-Gebiet hinaus sehr begehrt, und ich schätze, dass von einer verkauften Kassette am Ende mindestens hundert Kopien existierten – natürlich in noch schlechterer Qualität. Der Spaß kostete 20 DM, und wenn man bedenkt, dass Spotify für 10 € im Monat für manchen heute schon zu teuer ist, dann kann man sich vorstellen, was Exklusivität damals wert war.


Später zählten auch die einschlägigen Etablissements der Frankfurter Kaiserstraße zu den Kunden. Ob die Stammkundschaft verstanden hat, was da im Hintergrund lief?

Welche Technik habt ihr seinerzeit genutzt?

Soweit ich mich erinnere, habe ich mir von einem Freund eine PA mit Mischpult ausgeliehen und auch zwei Technics Plattenspieler. Allerdings waren das am Anfang noch keine 1210er, die in den Clubs neben den Thronens Standard waren. Die kosteten weit über 1.000 DM – ergo illusorisch. Der Vorteil des Improvisierens war aber: Wenn man es schaffte, mit diesen minderbemittelten Geschwindigkeitsreglern zu mixen, war danach alles ein Kinderspiel. Ein richtig gelerntes Handwerk, ohne es damals so zu nennen.


Wann und warum habt ihr die Mixtapes eingestellt?

Im Grunde habe ich das bis heute nicht. Wir haben die Tapes im Team produziert, bis ich 1990 nach Hamburg gegangen bin. Aber kurz danach habe ich mit der Serie “Love 80s” angefangen, nur nicht mehr als Tape, sondern erst auf CD und dann nur noch digital, bzw. heute als Stream bei MixCloud.

Auch für die Disco Boys habe ich seit 1994 unzählige, exklusive DJ-Mixe gemacht, die im Grunde die Nachfolger der Mixtapes sind.


Was macht für dich persönlich ein gutes Mixtape aus?

Wenn man wie wir (The Disco Boys) regelmäßige bzw. legale Mix-Compilations auf den Markt bringt (wir arbeiten gerade an Volume 23), dann ist man inhaltlich in vielerlei Hinsicht sehr eingeschränkt, weil man nur Titel nehmen darf, die lizenzierbar sind. Und selbst dann gibt es diverse Auflagen, wie z.B. Kürzungsverbot oder Übergänge von maximal 10 Sekunden. Das führt am Ende oft dazu, dass wir von hundert angefragten Titeln nur zehn nehmen können.

Insofern ist das alte Mixtape vor allem deshalb so toll, weil man sich völlig frei austoben kann. Es hat also eine eigene Handschrift, die mehr Motivation erfordert, als eine Playlist zu verlinken.


Fotos: Raphael Krickow