Zum Tod der Hip-Hop-Legende MF DOOM: der kalte Flow des Madvillain
Ein Gastbeitrag von D. Reviol
Kurz vor dem Jahreswechsel schockte die Nachricht vom Tod Daniel Dumiles die Hip-Hop-Gemeinde. Der unter dem Pseudonym MF DOOM bekannte MC war eine Ikone des Underground-Raps. Zu diesem traurigen Anlass haben wir sein Meisterwerk „Madvillainy“ von 2004 wiedergehört.
Marley Marl/Rakim, Dre/Snoop, RZA/GZA, Timbaland/Missy … schon häufig hat das Zusammentreffen von Hip-Hop-Produzenten und Rappern in ihrer Prime künstlerische Großtaten hervorgebracht. Die Rap-Historie ist voll von diesen Beispielen. Und ein Duo, das unbedingt in diese triumphale Reihe gehört, sind Producer Otis Jackson Jr. aka Madlib und der Long Island-Rapper Daniel Dumile, besser bekannt als MF DOOM.
Sampling-Grüße aus Brasilien
Zwischen der goldenen Hip-Hop-Ära in den 90ern und späteren kreativen Erneuerern wie der Odd Future Crew oder Kendrick Lamar spielten sich viele der interessantesten Rap-Projekte jenseits des Mainstreams ab. Das gilt auch für die Kollaboration von Madlib und DOOM auf Peanut Butter Wolfs Label Stones Throw. Weit entfernt vom kommerziellen Erfolg der oben aufgezählten Megastars schufen die beiden zwischen 2002 und 2004 die Kunstfigur Madvillain. Dessen einziges Album „Madvillainy“ betrachten viele Kritiker heute (zu Recht) als eines der besten Hip-Hop-Alben seiner Dekade.
Aber zwei Jahre für nur eine Platte? Wer angesichts dessen nun ein eher überambitioniertes Werk vermutet, liegt falsch. „Madvillainy“ entstand schlichtweg in mehreren Etappen und musste dabei diverse Hindernisse überwinden. So wurde Madlib unter anderem eine frühe Version des Albums gestohlen und ins Internet gestellt, woraufhin er die Arbeiten an dem Projekt aus Frust zeitweise komplett eingestellt hatte. Tatsächlich jedoch klingt das Album an keiner Stelle nach Hochglanz oder verkopftem Rap-Intellektualismus. Im Gegenteil.
Madlib, bekannt als rastloser Crate Digger, aber auch als verspielter Jazz-Aficionado, produzierte große Teile der Musik während eines Aufenthalts in São Paulo mit minimalem Equipment. „I did most of the Madvillain album in Brazil. Cuts like ‚Raid’ I did in my hotel room in Brazil on a portable turntable, my 303, and a little tape deck“, beschrieb der Producer die Entstehung der Musik einst gegenüber dem Scratch Magazine. Und weiter: „I recorded it on tape, came back here, put it on CD, and DOOM made a song out of it.“
„Written in cold blood“
Das Ergebnis zeigt das Potenzial der Hip-Hop-Musik als Collage-Kunst. Beatlastige Samples, wohl vor allem von brasilianischen und indischen Platten, zusammengefügt zu 22 Tracks, die mehr Skizzen sind als Songs, darüber Voice-Overs vermeintlich aus Superhelden-Flicks und Werbeaufnahmen. Ein roughes, surreales Gemisch, das durch eine der faszinierendsten Rap-Performances der vergangenen 20 Jahre veredelt wird.
Die assoziativen und zugleich eingängigen Vocals von MF DOOM sind der Klebstoff, der die Elemente des Albums zusammenhält. Aber sie sind noch mehr.
Nach ersten Aufnahmen, auf denen der MC eigenen Berichten zufolge weitaus emotionaler und energetischer rappte als auf dem finalen Album, wählte DOOM bewusst einen sehr kalten Stil. Eine brillante Entscheidung. Passend heißt es im Booklet des Albums beziehungsweise im vorletzten Stück „Great Day“: „Written in cold blood with a tooth pick“.
Mit hypnotischer Monotonie führt uns die grimmige und dunkle Stimme des Rappers durch das 46-minütige Album. Gepaart mit einem unerschöpflichen Vokabular, zungenbrecherischen Versen und endlosen Reimen wird „Madvillainy“ so zu einer einzigen fließenden Bewegung. Ein verschwitzter, psychedelischer Fiebertraum in einem brasilianischen Hotelzimmer.
Dumile schon vor zwei Monaten verstorben
Am 31.12. des hinter uns liegenden Jahres verkündete Daniel Dumiles Frau Jasmine, dass der Rapper bereits vor zwei Monaten im Alter von 49 Jahren verstorben war.
In den 2000er-Jahren erinnerte „Madvillainy“, welch kreative Kunst Rap-Musik sein kann. Der Verdienst eines nerdigen Produzenten mit Sampler, Turntable und Tape-Deck – und eines Rap-Giganten, der sein Gesicht die meiste Zeit seiner Karriere hinter einer Marvel-Maske versteckte, um nicht vom Wesentlichen abzulenken: einem atemberaubenden musikalischen Talent, das fehlen wird.