Dorfdisko de luxe: Harry Crössmann über seine DJ-Zeit im Clochard im Odenwald
Beachpartys und Live-Gigs von Acts wie C.C. Catch und Sandra prägten das nächtliche Treiben im Clochard in den 1980er Jahren. Die ehemalige Diskothek in Höchst im Odenwald war knapp 20 Jahre lang ein Nightlife-Magnet für Partyfreaks aus dem Ort und der umliegenden Region. Harry Crössmann, einer der damaligen Mitbegründer, erzählt im Interview über seine Zeit in der beliebten „Dorfdisko“.
Zunächst sah es nicht unbedingt nach einer neuen Story für Music Mind aus: Eine Anzeige in einer Schallplatten-Verkaufsgruppe auf Facebook war der Anfang. Zum Verkauf standen rund 3000 Schallplatten aus einer ehemaligen Diskothek. Die Bilder waren wenig aussagekräftig. Also galt, anschauen vor Ort. Pfungstadt war das Ziel. Dort angekommen, öffnete mir freundlich ein älterer Mann die Tür eines Einfamilienhauses und stellte sich als Harry vor.
Nach ein wenig Small Talk führte er mich in einen Kellerraum mit Regalen voller Schallplatten. Während ich stöberte, kamen wir ins Gespräch und schnell stellte sich heraus, dass am Ende des Besuchs nicht nur die eine oder andere rare Scheibe auf dem Stapel landete. Denn Harry, Jahrgang 1953, begann vom Clochard und seinen frühen DJ-Tagen zu erzählen. Äußerst spannend, wie sich herausstellte.
Etwa 14 Tage später stand ich schließlich erneut auf der Matte – dieses Mal mit Fragen und einem Aufnahmegerät im Gepäck. In der Wohnküche packte Harry dann mit seiner markant-rauchigen Stimme über seine Club-Vergangenheit aus. Dabei ging es nicht nur um seine DJ-Karriere und die Geschichte des Clochards, sondern auch um soundtechnische Anekdoten. Here we go …
Harry, wann hast du als DJ losgelegt?
Mit 16, das war 1969. Damals habe ich in einer Rockband gespielt, bei den Guardians aus Darmstadt. Wir sind damals zum Ausgehen oft im Club 77 in Pfungstadt gewesen. Der Chef des Ladens managte später eine weitere Gruppe, in der ich spielte, die hieß Voodoo Child. Irgendwie hatte der aber nie einen DJ gehabt. Jedes Mal wenn ich dort war, hat er mich zum Auflegen geschickt. So ging das los. Bis 1977 habe ich dort dann aufgelegt. Aber richtiges DJing mit Mixing und so war das natürlich noch nicht. Damals legte ich ausschließlich mit den Singles aus dem Club auf und habe zwischen den Platten mit dem Mikrofon Ansagen gemacht. Da habe ich tatsächlich auch mal zwischendurch einen Witz erzählt. Die Plattenspieler waren von Lenco, ohne Pitching. Die waren sehr robust und standen in vielen Diskotheken seinerzeit.
Wie ging es weiter, hast du dann auch mit dem Mixing angefangen?
Später folgten Dual-Plattenspieler. Die hatten bereits Pitch-Funktion. Dann stieg ich irgendwann auf Thorens-Plattenspieler um. Was aber das richtige Mixen angeht, da habe ich mich, ehrlich gesagt, geweigert. Dennoch hatte ich meine Fanbase. Ich war einfach ein guter Entertainer und hatte stets den richtigen Riecher für die passende Musikauswahl.
Wann hast du deinen ersten eigenen Club eröffnet? Du sagtest, das war nicht das Clochard.
Genau, das war das Old Movie in Pfungstadt. Das haben wir 1977 eröffnet, in einem ehemaligen Kino. Leider gibt es keine Bilder aus der Zeit. Zum Platten kaufen sind wir einmal die Woche nach Düsseldorf gefahren. Da gab es einen Laden, der hieß DJs. Die hatten hauptsächlich Singles, aber auch die ersten Importscheiben. Das Clochard haben wir dann 1979 eröffnet. Die Mutter unseres Architekten, der die Diskothek mit uns gebaut hat, kam aber aus Salt Lake City in den USA und die hat uns anfangs auch regelmäßig mit US-Maxis versorgt. Da ich keine Ahnung hatte, was ich wollte, habe ich ihr nur gesagt: „Schick einfach die Top Ten!“ Von zehn Platten waren dann maximal zwei gut und der Rest für die Tonne.
Wie viele Leute haben ins Clochard gepasst?
Insgesamt 800. An den Samstagen hatten wir im Durchlauf bis zu 1400 Gäste. Neben dem Dancefloor betrieben wir auch noch ein Bistro, in dem es kleine Snacks gab. Anfangs hatten wir fünf, später vier Tage die Woche geöffnet.
War es schwer, bei euch reinzukommen?
Wir waren generell nicht so streng. Auch die Gäste mit Turnschuhen haben wir nicht abgewiesen, obwohl das Clochard schnell voll war. Vor allem samstags haben sich die Leute vor der Tür gestapelt. Und das mitten im Dorf! Die Anwohner fanden das teilweise nicht witzig.
Kamen auch Leute aus den umliegenden Städten zu euch?
Ja, natürlich. Höchst ist ein Kaff mit inzwischen etwas über 9000 Einwohnern. Von den Odenwäldern allein hätten wir nicht leben können. Aber: Wir waren gut. Das wussten die Leute. Und das hat sich herumgesprochen. Vor allem wegen unserer Motto-Partys. Die Autokennzeichen auf dem Parkplatz vor der Disko sprachen Bände: Erbach, Mannheim, Frankfurt, Mainz, Offenbach usw. Das war das Clochard.
Welches Mischpult stand in der DJ-Kanzel?
Im Chlochard hatten wir einen großen Dynacord-Mixer stehen, mit Equalizern und anderen Effekten. Was übrgens das Mixen anging: Freitags hatten wir einen DJ, den Holger, der hatte das sehr gut drauf. Er kam dann mit seinen Technics Turntables an, die er einfach auf die Thorens stellte. Wenn er mal ausfiel und ich für ihn einspringen musste, habe ich vor einem ganz anderen Publikum gespielt als an meinen Samstagen. Der Holger war schon sehr Frankfurt-orientiert. Wobei ich natürlich auch öfters in Frankfurt wegging, bevorzugt ins Dorian Gray. Das war die absolute Diskothek für mich. Die Anlage, der Sound, einfach der Wahnsinn.
Wie wichtig war der Sound im Clochard?
Uns war der Sound sehr wichtig. Wir hatten vier Bass-Klipsch-Boxen mit Falthorn und Gauss-Lautsprechen, bei denen der Bass an den Seiten herauskam und sich in die Wände verteilte. Dazu waren je vier Mitteltöner sowie Hörner von Electro Voice mit einem glockenklarem Sound installiert. Die Endstufe war eine Citation Sixteen von Harman Kardon. Damals sozusagen der Ferrari unter den Endstufen. Davon standen auch welche in der Frankfurter Music Hall – inklusive eigener Klimaanlage.
Wo hast Du seinerzeit in der Region die Schallplatten eingekauft?
Irgendwann haben wir den Tipp mit dem Schallplattenladen Knie in Wiesbaden bekommen. Das war der Laden im Keller. Hier haben hauptsächlich DJs eingekauft. Ein Paradies auf Erden für uns. Unter der Woche kamen in der Regel die neuesten Importscheiben. Der DJ Armin, seinerzeit auch viel am Auflegen in der Region, hat diese den DJs dann angespielt. Wer zuerst den Finger oben hatte, hat die Platte bekommen. Manchmal waren aber nur zwei oder drei Exemplare da und so gingen manche leer aus. Dann kam die Erfindung mit den Fächern für die Diskos und deren Resident-DJs. Erst beim Knie, später beim Eisele in Offenbach.
Das Gute war: Der Armin kannte unsere Läden. Daher wusste er, welche Platten die richtigen für uns waren und hat sie uns in die Fächer gestellt. Für die beiden Diskos habe ich viel doppelt eingekauft. Die Platten habe ich mir im Laden mit dem Kopfhörer angehört und entsprechend sortiert mit „ja“, „nein“ und „vielleicht“. Dazu gab es einen Kaffee, Cola und nette Gespräche mit Kollegen. Ein Knie-Besuch war für mich stets Weihnachten und Ostern zusammen.
Hier noch einige Erinnerungen aus der Clochard-Zeit:
Fotos: Harry Crössmann, Alexander Antonakis, privat