Clubkultur auf Super 8: DJ Maya über ihre Filme, Gigs und alte Rave-Zeiten

Clubkultur auf Super 8: DJ Maya über ihre Filme, Gigs und alte Rave-Zeiten

Januar 9, 2021 1 Von Alexander Antonakis

Antje-Maya Hirsch aka DJ Maya gehört seit vielen Jahren zu den kreativen Köpfen der Clubszene. Diese unterhält sie seit Ende der 80er nicht nur bundesweit hinter den Decks, sondern hat das Partygeschehen auch filmisch immer wieder festgehalten.

Wir blicken zurück auf frühe Techno-Tage in Frankfurt und Berlin. Loveparade, XS, Dorian Gray, Romantica, Robert Johnson, Maxim, Music Hall und Nächte, die sich tief ins Gedächtnis eingebrannt haben: Im Interview mit Music Mind erzählt die 56-Jährige über ihre Super-8-Aufnahmen aus den frühen 90er Jahren, die sie aktuell schrittweise digitalisiert und mit Musik untermalt, sowie über ihre Erlebnisse als DJ und Gast vergangener Rave-Nächte – inklusive bislang unveröffentlichtes Bild- und Videomaterial. Let it roll …

Maya, vor einiger Zeit hast du angefangen alte Super-8-Aufnahmen aus deinem Archiv zu digitalisieren und hast diese auf einem eigenen YouTube-Kanal hochgeladen. Wie kamst du damals zum Film?

Zum Film kam ich in München in den frühen 80ern durch meine Jobberrei als Visagistin für die Teenie-Zeitung „BRAVO“ während ich zeitgleich noch in einer Ausbildung zur Werbe- und Gebrauchsgrafikerin steckte. Daraus ergaben sich wiederum Jobs in der Modefotografie und über Werbung zu TV bis hin zu Videoclipdrehs. 1988/89 habe ich zum Beispiel Maske für die Musikvideo-Sendung „Formel Eins“ gemacht. Dazwischen gab es von Vorabendserie bis Kinofilm diverse Drehjobs, bei denen ich hauptsächlich Maske, aber auch gelegentlich Styling und Kostüme gemacht habe. Das eine ergab immer irgendwie ganz von selbst das andere.

Maya auf der Loveparade, 1993. Screenshot: privat.

Ich und meine Freund*innen haben damals angefangen Super-8-Kurzfilme zu drehen. Wir wollten Filme machen. Ich vor allem Dokumentarfilme. Ich war ein halbes Jahr Gasthörerin an der Münchner Filmhochschule, bis man mich rausgeschmissen hat, weil ich mich ordentlich bewerben sollte. Das habe ich aus falscher Bescheidenheit dummerweise nicht gemacht. Die Jahre in der „Bavaria Film“ (Produktionsfirma von „Formel Eins“) waren gute Lehrjahre und haben damals den ernsthaften Berufswunsch als Musikvideo-Regisseurin in mir geweckt. Ich dachte, es wäre das perfekte Verbrechen, um meine Vorlieben für Musik und Film zu einem richtigen Beruf zu machen.

Unter den Aufnahmen befinden sich unter anderem längere Loveparade-Impressionen von 1993, 1994 und 1995. Wie hast du denn die frühe Techno-Zeit miterlebt?
Die frühen Technojahre waren auf jeden Fall eine sehr besondere Zeit. Ich war im Oktober 1989 gerade von München, der Stadt der Sperrstunde, nach Frankfurt gezogen. Es war ein positiver Kulturschock, dass es hier möglich war, von Donnerstagabend bis Sonntagnachmittag auszugehen und elektronische Musik zu hören. Es gab damals noch die hr3-Clubnight, in Bayern war so ein Format undenkbar gewesen. Drei Stunden Techno im Radio. Geradezu subversiv.

Loveparade-Aufnahmen aus dem Jahr 1993. Video: Maya.

Etwas seltsam fand ich allerdings, dass die Clubs in Frankfurt, in denen Techno lief, wie Omen oder Dorian Gray, alles andere als Underground Locations waren. Das führte immer wieder mal zu unangenehmen Momenten mit den Söldnertürstehern, die aus einem gaaaaanz anderen Milieu zu kommen schienen als die Ravekids, die rein wollten. Obwohl auch Schüler/Presinger geführt, war lediglich das 1991 eröffnete XS eine Ausnahme.

Auch ravig: Live aus dem Frankfurter Dorian Gray: Rare Tapes (1983-92) – von Freestyle bis Techno

Ich war es aus München und erst recht Berlin gewohnt, dass die guten Clubs immer aus einer Kunst-, Kultur- und Gayszene gewachsen waren. Dass Szenen sich vermischen. Auch altersmäßig. In Frankfurt ist das leider nicht so gewesen. Dennoch herrschte überall eine euphorische Aufbruchsstimmung. Das Tollste daran war für mich, dass es eine Art unausgesprochenes Gemeinschaftsgefühl gab. Es war uns allen irgendwie klar, dass wir gerade die Geburtsstunde einer neuen Musikkultur und eines Lifestyles erleben, den es vorher so noch nicht gegeben hatte.

Keine Anführer, alle gleich. Jeder darf mitmachen. Egal wie, womit und woher man kommt.

Für mich war es wie eine Fusion aus einer Love-Peace-Hippie-Utopie vermischt mit etwas anarchischer Punk-Attitüde. Keine Anführer, alle gleich. Jeder darf mitmachen. Egal wie, womit und woher man kommt. Aber dafür mit all der Technologie und dem Wissen von heute. Gleichberechtigt und solidarisch. Ja ja, eine sehr romantische Vorstellung, die sich bei mir auch nicht so lange gehalten hat. Wäre aber schön gewesen.

Kurzflim über die Loveparade 1994. Video: Maya.

Die frühen Loveparades haben diesen Spirit für mich sehr stark transportiert. Obwohl diese ganze Szene natürlich sehr hedonistisch betrachtet wurde, was sie sicher auch ist, gab es sehr wohl politische Aspekte. Denn um überhaupt irgendwas, irgendwie, irgendwo veranstalten zu können, bedarf es gewisser Freiheiten und Möglichkeiten. Da ist nach wie vor Verbesserung der Umstände erforderlich und nach oben hin viel Luft. Denn was ist denn das für ein System, in dem Clubkultur nicht möglich ist oder nur als irrelevante Freizeitunterhaltung angesehen wird? Nicht als Kunstform, geschweige denn als richtige Arbeit.

Der Ausverkauf und die Aufsplitterung in diverse musikalische Paralleluniversen mit House, Drum’n’Bass, Trance, Minimal usw. kam in den 90ern schnell und ist immer noch in Bewegung. Heute 20-Jährige entdecken späten 80er Acid House und frühe 90er Techno-Vinylschallplatten, wie ich als 70er Disco-Kind die 60er Jahre-Hippiemusik meiner Eltern. Das finde ich sehr lustig und interessant, weil ich Futurismus und Retrochic schon immer mochte.

Was umfasst dein Archiv denn sonst noch? Ich habe unter anderem Musikvideos für Bands auf deinem Kanal gesehen. Hast du auch alte Aufnahmen aus dem Frankfurter Nachtleben?
In meinem Video- und Foto-Archiv schlummern einige Schätzchen aus der Prä-Handy-Ära. Mein aktuelles Projekt, an dem ich schon seit Jahren rummache, besteht aus ca. 15 Stunden Aufnahmen, die ich 1994 im XS Club gemacht habe. Darunter befinden sich Sequenzen von Cosmic Baby, Paul van Dyk, DJ Hype, Laurent Garnier, DJ Duke oder Jim Avignon, der während einer Party im Club gemalt hat. Viel Dancefloor- und Backstage-Footage inklusive den Ambient Chill Out Sessions.

Screenshots aus dem Filmaterial von „See the light at XS 94!“. Oben links Paul van Dyk. Fotos: privat.

Daraus soll ein Zusammenschnitt der besten Momente entstehen plus Interviews mit Zeitzeugen. Bisher gibt es einen 30-minütigen Rough Cut. Es soll eine Hommage an diesen für mich sehr wichtigen Ort sein. Aber es ist natürlich auch ein schönes Zeitdokument und Highlight der Franfurter Musikhistorie. Im Moment bin ich leider etwas ausgebremst. Nicht nur wegen Corona. Es kostet schließlich viel Geld, so etwas professionell umzusetzen. 2015 hatte ich eine Ausstellung mit Screenshots auf Leinwand aus diesem Material und es gibt ein fertiges Layout zu einem Fotobuch dazu.

Es existieren zudem interessante Aufnahmen von den Euphoria Raves im Dorian Gray diverses um Radio X, Partys, Bars, Clubs, Kunstprojekten, Orten an denen ich aufgelegt habe und natürlich auch die Loveparade-Filme, die 2019 bei der Multimedia Exhibition Nineties Berlin zu Dr. Mottes Ausstellung „30 Jahre Love Parade“ zu sehen waren.

Du legst seit Ewigkeiten in Frankfurt auf. Wann genau ging es denn los und was waren deine ersten Stationen?
Als ich Ende 89‘ nach Frankfurt kam, lernte ich in der Romatica Bar in der Moselstraße den Macher Hans Romanov kennen. Wir kamen schnell über Musik und meine Plattensammlung ins Gespräch und er lud mich spontan zum Auflegen ein. Da habe ich sehr schnell Blut geleckt. Vermutlich habe ich in allen Läden gespielt, die er bis heute gemacht hat.

Die „Erfindung“ des Chill-out-Rooms war und ist einfach wie für mich gemacht.

Hans war seinerzeit noch in das Maxim involviert, dass er mit Anja Weil in der Karlstraße 17 mit Programm fütterte. Er hat mich im Grunde fast gezwungen, da aufzulegen. Er meinte tatsächlich: „Wenn du da jetzt nicht spielst, geht es auch nicht mehr im Romantica.“ Ich hatte anfangs schon etwas Bedenken vom Séparée in der kleinen Bar in so eine krasse Disko zu wechseln und dort auch noch gleichzeitig Licht zu machen. Es lief aber sehr gut und danach schockte dich nichts mehr.

Allerdings kam ich mehr und mehr in einen musikalischen Interessenkonflikt. Diese Läden und ein großer Teil des Publikums waren eher Indie und Rock’n’Roll-lastig. Ich wollte aber viel elektronischer auflegen, weil ich selbst nur noch auf Techno- und vor allem auf Drum’n’Bass-Partys unterwegs war. Als 1991 das XS eröffnete und ich dort donnerstags und sonntags bei den Ambient-Chill-Out-DJs wie Alex Patterson von The Orb oder Mixmaster Morris gehört hatte, wusste ich, wo die Reise für mich hingehen sollte.

Check: Club Maxim, Karlstraße 17: Wildstyle im Frankfurter Bahnhofsviertel

Die „Erfindung“ des Chill-out-Rooms war und ist einfach wie für mich gemacht. Es ist ein Ort, an dem das größte musikalische Spektrum möglich ist und ich alle meine Vorlieben rund um ElektroTripHopPsychedelicPop und KlangKitschQuatschSphären für den Film im Kopf-Soundtrack ausleben kann.

Collage von „See the light at XS 94!“. Foto: privat.

Diese Art von Ravekultur gibt es so schon lange nicht mehr und die Möglichkeiten sind deutlich weniger geworden. Jedenfalls in Frankfurt. Als Künstler*in ist man immer gezwungen, sich permanent neu zu erfinden, um weder für sich selbst noch für andere langweilig zu sein. Mit den Zeiten ändern sich nicht nur die Medien, sondern auch die Orte.

Welche Partys in Frankfurt sind dir ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Für mich als DJ ist ganz besonders die „Omni“-Party in der Music Hall in besonderer Erinnerung. 1991 war das. Damals gab es noch diesen kleineren Barraum, der durch einen Schleusengang und offenbar schalldichtes Panzerglas vom Clubraum getrennt war. Man konnte die Party etwas von oben herab beobachten, aber hörte nichts davon. Kein Soundsalat.

DJ Maya im Line-up eines Raves in Berlin. Foto: privat.

Die Hall war soundtechnisch ohnehin großartig. Bei dieser einen Party hatte ein Organisator einen wirklich schönen Chill-Out-Raum hinein gedacht, aber das Booking vergessen. Jedenfalls wollte niemand da auflegen und so kam ich ins Spiel. Dort habe ich dann über elf Stunden am Stück ohne Getränke und ohne Pause eines meiner längsten DJ-Sets gespielt. Leider ohne Gage. Aber ein sehr anekdotenreicher Abend.

Als Tänzerin und Musikfan sind die House- und Drum’n’Bass-Partys im XS unvergesslich. Vor allem wegen der ganzen DJs aus UK wie Bryan Gee, C-Smooth, LTJ Bukem, Grooverider, Micky Finn, Slipmatt und natürlich deren MCs.

Drum’n’Bass-Party im XS, Frankfurt, 1994. Video: Maya.

Auch die Afterhour-Dinger wie die Tankstelle in der Isenburger Schneise waren toll. Nicht zu vergessen illegale Partys in irgendwelchen Rohbauten oder Tiefgaragen. Es gab immer alternative Veranstalter und Künstler-kollektive wie die Fahrradhalle in Offenbach. Oder andere HFG-Sidekicks wie das Robert Johnson, wo ich vielleicht mehr vergessen als erlebt habe. Wenn ich Fotos und Dias betrachte, wundere ich mich manchmal. Ich weiß, dass ich die Bilder gemacht habe, kann aber nicht mehr sagen was, wer und wann das war.

Magischer Moment im Robert Johnson: Carl Craig droppt „Busted Trees“ von Directions, 2003. Video: Maya.

Am liebsten erinnere ich mich an Nächte mit Theo Parrish sowie an Moodymanns zweiten Gig dort, bei dem er nicht mehr hinter einem „Vorhang“ aufgelegt hat. All die Momente auf der Terrasse mit Blick auf den Fluss …

Es gab so einiges in den letzten 30 Jahren und es kommt mir fast etwas unfair vor, Bestimmtes herauszustellen. Es waren gute Jahre.


Antje-Maya-Hirsch kann man regelmäßig auf Radio X hören, dort macht sie immer am zweiten Samstag im Monat die Radioshow Music For Films.

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