„Dieser dramaturgische Bazillus“: Borusiade über ihre neue EP „Purge“

„Dieser dramaturgische Bazillus“: Borusiade über ihre neue EP „Purge“

Februar 26, 2021 0 Von D. Reviol

Ein Gastbeitrag von D. Reviol

Düstere und beklemmende Industrial-Sounds dominierten die letzten Releases von Borusiade. Auf ihrer neuen EP demonstriert die rumänische DJ nun ein neues Selbstbewusstsein. Im Interview erzählt sie, wie die Erfahrungen der vergangenen Monate ihre Musik prägten.

Anfang 2020 erschien Borusiades letzte LP. Die Pandemie war damals noch nicht so präsent, zumindest nicht in unseren Köpfen. Und auch Miruna Boruzescu dachte nicht an den Lockdown-Zustand, in den die Welt bald versetzt würde, als sie ihr Album „Fortunate Isolation“ nannte. Trotzdem spiegelten Albumtitel und Musik fast prophetisch wider, was kurze Zeit später folgen sollte. Getragen, klaustrophobisch und albtraumhaft war das Isolationsszenario, das Borusiade mit ihrem Dark-Wave-Techno malte.

Seitdem scheint sich viel Energie aufgestaut zu haben. Auf „Purge“, Borusiades neuer EP, klingt die Musik der rumänischen DJ physischer denn je. „Let Go“, „Purge“ und „Nervous“, die drei ersten der insgesamt fünf Tracks, atmen eine neue Vitalität. Angetrieben von dumpfen Beats und kreisenden Synthies marschieren die Stücke voran, befinden sich permanent in Bewegung.

Am Ende die musikalische Freiheit

Die für Borusiade typische Vorliebe für 80er-Jahre-Klänge ist geblieben, doch statt sphärischer Wave-Teppiche beschwört die erste Hälfte der EP eher den EBM-Sound von Acts wie DAF. Einem instrumentellen Muskelspiel, dem Boruzescu ihre schauerromantischen Vocals entgegensetzt. Es entsteht eine Spannung zwischen rauer Härte und dunkler Schönheit, die im schimmernden „Granted“ ihre Auflösung findet.

Ohnehin rückt Borusiade auf „Purge“ noch mehr als auf ihren vorherigen Veröffentlichungen ihre klassisch trainierte Stimme in den Fokus. Ein Gesang, der in seiner morbiden Anmut sogar an Nico erinnert, allerdings ohne deren Zerbrechlichkeit zu transportieren. Im Gegenteil, „Purge“ strahlt großes Selbstbewusstsein aus. Ausgerechnet „Haunted Evolution“, der letzte Track und der einzige Song ohne Vocals, bringt das perfekt zum Ausdruck. In diesem Schlüsselstück der EP wirft Boruzescu ihre Einflüsse über Bord und lässt ihren Techno frei und organisch fließen – eine musikalische Pointe. Selbst auf EP-Länge beweist Borusiade ihr dramaturgisches Talent.

Erfahrt mehr über die EP und ihre Entstehung im Interview mit Miruna Boruzescu …


Ich hatte das Gefühl, nichts mehr kontrollieren zu müssen, sondern konnte mich einfach vom Schicksal treiben lassen“

Miruna, während dein vorheriges Album „Fortunate Isolation“ extrem beklemmend wirkte, ist die Musik auf deiner neuen EP deutlich körperlicher. Bei den ersten drei Tracks drängt sich sogar der Vergleich zur Wuppertaler Band DAF oder anderen EBM-Acts auf. Wie kam es zu diesem Stilwechsel?

Vielen Dank erst einmal für den Vergleich mit DAF – ich fühle mich geschmeichelt. Wie für viele andere war das vergangene Jahr für mich ziemlich speziell. Neben der weltweiten Krise hatte ich auch auf persönlicher Ebene eine solche Zeit noch nie erlebt. Die erste Hälfte des Jahres war für mich nichts als Lockdown, Herzschmerz und Isolation. Nichts, was ich anfing oder plante, wollte klappen. Ich musste damals wirklich lernen, loszulassen. Als mir das aber gelang, bestimmten plötzlich Liebe, Glück und Freiheit die zweite Hälfte des Jahres. Ich hatte das Gefühl, nichts mehr kontrollieren zu müssen, sondern konnte mich einfach vom Schicksal treiben lassen. Die EP setzt sich aus Tracks zusammen, an denen ich arbeitete, während ich diese extremen Erfahrungen gemacht habe.

Noch stärker als deine früheren Alben ist „Purge“ durch deinen markanten Gesang geprägt. Ist das der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins in deiner Musik oder einfach eine logische Folge deiner Zeit im Gesangschor?

Mit meiner eigenen Stimme zu singen, ist eine sehr persönliche Ausdrucksform, im Grunde die persönlichste, die ich in der Musik einbringen kann. Ich kann natürlich instrumentelle Musik produzieren, die für das Publikum total nach mir klingt. Aber zugleich klingt sie auch immer nach den Instrumenten, die ich nutze und die eben auch viele andere Producer einsetzen. Wenn ich hingegen meine Stimme aufnehme, trägt das komplett meine eigene Handschrift. Die Verbindung zum Hörer wird dadurch noch intimer. Und klar, zwischen meinem sechsten und 18. Lebensjahr hatte ich in einem Kinderchor gesungen. Das ist zwar lange her, prägt meine musikalische Ausdrucksweise aber noch immer stark.

„Dieser dramaturgische Bazillus findet sich in fast allem, was ich tue“

„Haunted“ ist der einzige rein instrumentelle Track auf der EP. Doch auch durch seine Länge und seinen surrealen Stil sticht er hervor. Erfüllt der Song eine bestimmte Funktion auf „Purge“?

Ja, in meiner Vorstellung, ist „Haunted“ das eigentliche „purge“ („purge“ = „reinigen“, „säubern“, „befreien“; Anm. d. Red.). Es ist wie die Schlussfolgerung aus all den Problemen und Leiden, deren Geschichte die Stücke davor erzählen. Auf diese folgt plötzlich wie ein großes Fazit dieser neunminütige abstrakte Track, in dem das ganze emotionale Gewicht schließlich abfällt.

Es ist generell auffällig, dass sich deine Studiowerke durch eine sehr fein durchdachte Dramaturgie auszeichnen. Beeinflusst dich deine Arbeit als DJ bei der Konzeption der Alben und EPs?

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Ich denke, dass sich dieser „dramaturgische Bazillus“, wie ich es nenne, in den meisten Dingen, die ich tue, vorfindet. Am offensichtlichsten wahrscheinlich in meinen DJ-Sets. Wobei es sich trotzdem umgekehrt verhält: Meine Produzentenarbeiten beeinflussen eher mein DJing als andersherum.

Das Cover von „Purge“ vermittelt eine andere Stimmung als die deiner vorherigen Veröffentlichungen. Kannst du etwas zu der Entstehung des Artworks sagen?

Tripalium Corp, die Plattenfirma, auf der „Purge“ erscheint, setzt fast immer auf Zeichnungen unterschiedlicher Künstler. Dadurch ist die Ästhetik des Labels wesentlich geprägt. In meinem Fall wurde das Cover von der sehr begabten rumänischen Künstlerin Ada Musat angefertigt, die zufälligerweise auch meine Lebensgefährtin ist. Das Label hatte gerade als eine Art neues Leitmotiv Tiere in industriellen Szenarien für sich entdeckt, umgesetzt von verschiedenen Zeichnern – und es freute mich natürlich sehr, dass ich Ada bitten durfte, den Look meiner EP zu gestalten.

Nun die obligatorische Frage zur Pandemie: Wie und wo kommst du aktuell durch diese schwierige Phase?

Ich bin zurzeit in Bukarest. Zu Beginn des ersten Lockdowns kam ich hierher zurück. Und nachdem die gesamte Clubbing-Szene und Auftrittskultur eingestellt wurde und sich das Reisen immer komplizierter gestaltete, blieb ich hier. Die Pandemie veränderte mein Leben auf unterschiedlichen Ebenen, aber ich denke, mit der Zeit werden sich neue Dinge ergeben … wer weiß.

„Neu“ ist ein gutes Stichwort: Dürfen wir uns schon bald auf weitere musikalische Projekte von dir freuen?

Ich arbeite permanent an frischer Musik. Nach dem Release von „Purge“ im März auf Tripalium Corp steht meine nächste Produktion für dieses Jahr bereits in den Startlöchern. Dazu informiere ich euch dann aber erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Die EP „Purge“ von Borusiade erscheint am 5. März 2021 auf dem Label Tripalium Corp.

Borusiade bei einem „HÖR 1“-Set im August 2020.