DJ und Musiker Matthias Vogt über sein Solo-Debüt-Album „Polytonality“ auf Polytone

DJ und Musiker Matthias Vogt über sein Solo-Debüt-Album „Polytonality“ auf Polytone

November 30, 2020 0 Von Alexander Antonakis

Matthias Vogt ist Pianist, Produzent und DJ und hat in Vergangenheit mit Projekten wie [re:jazz] oder Motorcitysoul seine musikalische Signatur hinterlassen. Als Solo-Artist gehen etliche House-Maxis auf sein Konto. Mit „Polytonality“ kommt nun sein erstes, facettenreiches Debüt-Album hinzu. Dieses basiert auf drei EP-Veröffentlichungen.

Die musikalische Vielseitigkeit von Matthias Vogt ist außergewöhnlich. Der Frankfurter Allround-Artist kommt als DJ vom Freestyle, ist begnadeter Pianist und hat als Produzent seine Liebe auch in der elektronischen Musik gefunden.

Als Teil des House-Duos Motorcitysoul produzierte er zusammen mit C-Rock ab 2004 einige Maxis und insgesamt zwei LPs. Mit seinem Jazz-Projekt [re:jazz] hat er mehr als ein halbes Dutzend Alben auf dem Frankfurter Label Infracom veröffentlicht. Als Solo-Act fehlte hingegen bislang ein Longplayer. Mit „Polytonality“ auf dem Label Polytone Recordings von Nico Jablinksi füllt er jetzt diese Lücke.

Matthias, bitte erzähle etwas über dein Debüt-Album „Polytonality“, das im Januar 2021 erscheinen wird. Steht dahinter ein spezielles, musikalisches Konzept?

Nico kam 2019 auf mich zu und wollte mich als seinen „Main Artist“ auf dem Polytone Label in besonderer Art und Weise featuren. Bisher gab es noch keine Alben auf Polytone, sondern jeweils EP-Veröffentlichungen, u.a. von so großartigen Produzenten wie Ed Davenport, Oliver Deutschmann oder Johannes Volk. Wir kamen dann gemeinsam auf die Idee eine 3-EP-Serie zu machen, die sich am Schluss quasi wie von selbst als Album zusammensetzt. Drei mal drei Tracks.

Als ich anfing für Polytone zu produzieren war ich gleich vom Labelnamen und dem Konzept inspiriert. Als vielseitiger Produzent und Musiker fühle ich mich manchmal eingeengt, wenn die Genre-Definition sehr eng gesteckt wird. Das war bei Polytone von Anfang an nicht der Fall. Das Label ist eine Spielwiese und Abwechslung ein Hauptanliegen. Wenn ich einen Techno-Track raushauen wollte, machte Nico das mit. Oder tranciges Material, Deep House, Electro, all das findet sich in meinen Veröffentlichungen dort wieder. Auch bei den gemeinsamen Labelnächten habe ich das alles ausloten dürfen.

Es lag also nahe, diesen Ansatz auf Albumlänge auszureizen. Das Konzept ist also: kein Track wie der andere – neun Tracks, neun Blickwinkel. Oder wie es mein Freund Sam Rouanet sagte, als er das Album hörte: jeder einzelne Track ist eine Hommage an einen bestimmten Sound. Hat er schön gesagt, das trifft es.

Einige der Stücke könnten während der Corona-Krise entstanden sein. Wie zum Beispiel der melancholisch-herzzerreißende House-Track „Alone Together“.

Sollte man meinen. Aber witzigerweise habe ich alle Tracks außer „Alone Together“ in 2020 produziert. Nur dieser eine schon ältere Track wollte da wohl auch mit rein. Vielleicht wegen des Titels, aber auch der war nicht neu. Es gibt einen gleichnamigen Jazz-Standard, ich habe den Namen also quasi adaptiert, weil ich die Idee des Titels so schön finde. Und einige meiner Tracktitel für Polytone sind Unmöglichkeiten, z.B. „Copying The Future“.

Ich mochte die Deadline-Arbeit. Das gab mir die Möglichkeit, an neue musikalische Welten zu gehen. Einige Stücke sind sehr schnell entstanden, zum Beispiel „In My Robots Sweetest Dream“. Der besteht aus vier Spuren, alles von Hand eingespielt, ohne Quantisierung oder Schnitte, alles komplett mit nur einem alten Synthie, nämlich dem Casio CZ 3000.

Wie ist es dir als Künstler, dessen Auftrittsmöglichkeiten plötzlich weggebrochen sind, die vergangenen Monate ergangen?

Ehrlich gesagt tue ich mich schwer darüber zu berichten. Vieles davon ist sehr persönlich und privat. Aber zwei Gedanken teile ich gern: auf der einen Seite änderte sich wenig, als Produzent saß ich sowieso schon immer über weite Teile allein an meinen Maschinen. Manchmal so lange, das man nicht gemerkt hat, dass der Tag schon wieder rum ist. Lockdown? Normal!

Das Polytonality-Cover. Artwork: Jana Marei.

Zweiter Gedanke: die Auftritte fehlen mir vor allem seelisch. Es macht etwas mit einem, wenn man wie ich seit 20 Jahren auf Bühnen und in DJ-Booths steht und das plötzlich über Monate nicht mehr darf und machen kann. Wir haben einen Stream gemacht mit DJ-Sets von mir und Freunden (Dan Bay und Beatris waren mit dabei.) Die positiv verrückte Seehundmedia Crew hat extra dafür eine fette Funktion One PA aufgebaut. Da habe ich gemerkt, als die Bässe durch den Körper fuhren, dass ich das geradezu brauche. Mit fehlt also nicht nur das Kommunikative im Club, sondern gerade auch das Körperliche.

Übrigens habe ich auch vor dem Lockdown schon Dankbarkeit gefühlt, Auftritte machen zu dürfen. Das hat sich jetzt noch verstärkt.

Unüberhörbar sind bei den Tracks deine Fähigkeiten als Pianist. Kannst du eigentlich sagen, was du lieber machst, im Studio sitzen und Musik produzieren oder im Rampenlicht stehen und als DJ auflegen?

Wenn ich das beantworten könnte, würde ich wahrscheinlich nur eins von beiden machen. Tatsächlich mache ich beides unglaublich gern. Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Als Musiker liebe ich die Intensität, die Konzentration und Komplexität eines Auftritts mit einer Band. Das hat auch eine Fallhöhe, die ich als DJ nicht so spüre.

Als DJ liebe ich das Gegenteil. Nämlich den Aufbau eines langen Sets, sich fallen zu lassen und intuitiv zu agieren. Ich bin ein DJ, der den Ball gern flach hält und eine diebische Freude dabei empfinden kann, wenn nach einen mehrstündigen Aufbau ein Track wie eine Rakete zünden kann, die andere DJs als „zu soft“ oder „Vorprogramm“ bezeichnen würden.

Es braucht nicht immer ein schneller, höher, weiter. Manchmal muss man nur die Aufmerksamkeit der Tanzenden (die man niemals unterschätzen sollte) so lenken, dass die Mindsets des Publikums und des DJs eine Allianz eingehen, dann kann etwas Magisches passieren. Ich liebe und vermisse diese Nächte.

„Polytonality EP 3″ erscheint am 4. Dezember 2020 auf Polytone Recordings. Das Album „Polytonality“ erscheint Mitte Januar 2021.